Die Tyrannei der Tugend by Volker Reinhardt

Die Tyrannei der Tugend by Volker Reinhardt

Autor:Volker Reinhardt [Reinhardt, Volker]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406708237
Herausgeber: C. H. Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Mit schonungsloser Rückhaltlosigkeit wird hier alles gesagt. Die Stadt gehört euch Patriziern nicht mehr. Ihr seid Bürger beziehungsweise Sünder wie alle anderen, wenn nicht schlimmer. Gefällt euch das nicht, sucht euch einen anderen Aufenthaltsort. Françoise Perrin hingegen versucht die Verfolgung ganz traditionell, nach den Kriterien von strategischer Freundschaft beziehungsweise Feindschaft zu erklären: Was haben wir euch als Familie denn eigentlich getan? Und was Calvin als Gesetz Gottes bezeichnete, war für die Favres erst einmal das Gesetz der Pastoren: Netzwerk stand gegen Netzwerk.

Im weiteren Verlauf der Untersuchungen zu differenzierteren Verteidigungsstrategien gezwungen, rechtfertigten die Tanzveranstalter ihr Verhalten mit den Pflichten der Gastfreundschaft. Ausschlaggebend für die Übertretung des Verbots sei der Besuch eines vornehmen Fremden, Urbain Guisard, eines Adeligen aus der Waadt, gewesen. Dort nämlich werde bei Hochzeiten gefeiert, wie es sich gehört: mit Lachen und Tanzen. Damit zeichnete sich eine Tiefendimension des auf den ersten Blick läppisch erscheinenden Konflikts ab. Woran sollte sich künftig die Lebensführung ausrichten, an den hergebrachten Normen des patrizischen Standes oder an der Auslegung der Bibel durch die fremden Pastoren? Hinter dem feucht-fröhlichen Hochzeitsfest trat, so betrachtet, eine Machtfrage hervor. 1546 wurde sie zugunsten der ministres évangéliques entschieden. Diese nämlich blieben hart und geschlossen. Und vor dieser Phalanx wich der Rat zurück. Die Beschuldigten wurden bestraft, und zwar zu Prozeduren der Buße, Reue und Abbitte wie der unglückselige Ameaux. Um diese Demütigung voll zu machen, dankte der Patrizier Ami Perrin, seines Zeichens Stadtkommandant und einer der Gemaßregelten, auch noch «für die guten Ermahnungen», die ihm zuteil geworden seien.

Ihn hatte Calvin zuvor in einem Schreiben aufgefordert, den Spruch des Konsistoriums anzuerkennen und die Strafe anzunehmen.

Ich hätte dringend gewünscht, dass Sie sich dem Konsistorium gestellt hätten, um den anderen ein Vorbild zu sein … Woran es lag, dass Sie nicht erschienen, weiß ich nicht. Nur möchte ich, dass Sie einsehen, dass wir nicht verschiedene Gewichte und Waagen benutzen können. Wenn im weltlichen Recht auf gleiche Behandlung aller geachtet wird, so darf in der Kirche erst recht keine Ungleichheit toleriert werden … Freilich habe ich gehört, was in Ihrer Familie gesagt wurde: Ich solle nur auf der Hut sein, dass das von mir gelegte Feuer nicht mich selbst verzehre, und zwar bevor sieben Jahre nach meiner Rückkehr abgelaufen seien. Aber solche Drohungen haben für mich keinerlei Bedeutung. Denn ich bin nicht nach Genf meiner Ruhe oder gar des Gewinns wegen zurückgekommen – noch wäre ich traurig, die Stadt wieder zu verlassen. Der Nutzen des Staates und das Wohl der Kirche allein haben mich zur Rückkehr bewogen.[23]



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